Wie hoch ist der Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO im Arbeitsrecht?

Die Frage nach der Höhe des Schadensersatzanspruchs nach Art. 82 DSGVO im Arbeitsrecht lässt sich gegenwärtig und wohl auch künftig nicht abschließend beziffern und richtet sich nach dem konkreten Einzelfall.

Nachdem das BAG (Urteil vom 05.05.2022 – 2 AZR 363/21) jüngst entschieden hat, dass 1.000,00 Euro immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen verspäteter Auskunft nach Art. 15 DSGVO nicht zu niedrig ist, hat auch das Arbeitsgericht München mit Urteil vom 09.09.2022 (Az.: 23 Ca 11093/21) einen immateriellen Schadensersatz in Höhe von 2.000,00 Euro zugesprochen.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts München ist noch nicht rechtskräftig.

Worum ging es in der Klage?

Der Entscheidung des Arbeitsgerichts München lag der folgende verkürzte Sachverhalt zu Grunde:

Die Parteien stritten über Ansprüche auf Auskunft, Überlassung einer Datenkopie, Schadensersatz und Schmerzensgeld auf Grundlage des Datenschutzrechts.

Der Kläger war vom 01.02.2020 bis 24.06.2020 als Augenoptikermeister/Betriebsleiter bei der Beklagten beschäftigt und erhielt auf Grund einer Teilzeitvereinbarung zuletzt eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von 3.000,00 Euro. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Eigenkündigung des Klägers mit Wirkung zum 24.06.2020.

Die Beklagte ist ein international agierendes Unternehmen und vertreibt an einer Vielzahl von Standorten augenoptische Erzeugnisse. Ausweislich des Handelsregisters verfügte sie über ein Stammkapital von mind. 2.098.419,00 Euro. Nach ihrer eigenen Pressemitteilung hat die Beklagte eine hohe Umsatz- und Gewinnsteigerung für das Jahr 2020 (+13% auf 134,3 Mio Euro – operativer Gewinn +11,6% auf 5,7 Mio Euro) angeführt und einen erwarteten Rekordkurs für 2021 angekündigt.

Die Beklagte ließ Flyer mit der Überschrift „Persönliche Einladung zur Neueröffnung“, dem Abschluss „Ich freue mich auf Ihren Besuch““ und folgend Angaben u.a. zum Namen und Titel des Klägers als „Augenoptikermeister“ und Beschäftigungsort „…..de Shop in München“ drucken. Die Flyer wurden nach Ausspruch der Eigenkündigung des Klägers und nach Kündigungsbestätigung durch die Beklagte mit Schreiben vom 11.06.2020 verteilt. Ob dies noch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 24.06.2020 erfolgte und in welchem räumlichen Umfang, ist zwischen den Parteien streitig.
In Beantwortung eines Schreibens des späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers führte die Beklagte mit E-Mail vom 26.08.2020 aus, dass versäumt worden wäre, den Kläger im Zuge der Vertragsbeendigung von der Marketingliste für lokale Vertrauens-Werbekampagnen zu streichen, dies jedoch mittlerweile geschehen wäre.

Mit außergerichtlichem Schreiben vom 19.07.2021 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Ansprüche auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO und Zurverfügungstellung entsprechender Kopien nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO geltend und setzte zur Erfüllung eine Frist von einem Monat nach Zugang seines Aufforderungsschreibens.

Der Kläger erhob unter dem 05.12.2021 Klage vor dem Arbeitsgericht München u.a. auf Auskunft und Schadensersatz. Erst nach Klageerhebung nahm die Beklagte mit Schreiben an den Kläger vom 06.04.2022 zum geltend gemachten Auskunftsanspruch u.a. Stellung wie folgt:

„… Empfänger der personenbezogenen Daten sind folgende: …

– die Werbeagenturen, mit denen unsere Mandantschaft zusammenarbeitet (Hier wurde lediglich der Name zur Verfügung gestellt)


Die erhobenen Daten werden für die Dauer erhoben, verarbeitet und gespeichert, welche bestimmt wird durch die Erforderlichkeit der Speicherung.
Aktuell liegen verschiedene Rechtsstreitigkeiten vor, aufgrund derer sämtliche Daten bis zur Beendigung des Rechtsstreits gespeichert werden.
Ansonsten hält sich unsere Mandantschaft an die üblichen und gesetzlich vorgeschriebenen Speicherungszeiten bezüglich personenbezogener Daten.

… erlaube ich mir nochmals darauf hinzuweisen, dass im Rahmen einer Werbemaßnahme Werbeflyer, versehen mit dem Namen Ihres Mandanten, zu einer Anzahl von 9.858 Stück während des bestehenden Arbeitsverhältnisses im Postleitzahlenbereich …, das heißt rund um das Ladengeschäft … verteilt wurden.
Zuvor wurde der … Werbeflyer gedruckt und zwar durch das für Werbung zuständige Partnerunternehmen unserer Mandantschaft.“

Arbeitsgericht München spricht einen immateriellen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO in Höhe von 2.000,00 Euro zu

Das Arbeitsgericht München hat im Ergebnis einen immateriellen Schaden i.S.v. Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutzgrundverordnung bestätigt und den Schaden nach richterlichem Ermessen mit 2.000,00 Euro bestimmt.

Das Arbeitsgericht München führt in seiner Urteilsbegründung zu dem immateriellen Schadensersatzanspruch nach DSGVO u.a. aus, die Beklagte habe nicht nur ihre Auskunftspflicht nach Art. 15 DSGVO verletzt, sondern bereits zuvor durch Veranlassung der Marketingmaßnahme Daten des Klägers unzulässig und unter Verletzung der Datenschutzgrundverordnung veröffentlicht und verbreitet.

Die Frage nach einer Erheblichkeitsschwelle für einen immateriellen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO lässt das Arbeitsgericht München offen – Das Arbeitsgericht München ergibt zu erkennen, dass an die Überwindung einer Erheblichkeitsschwelle keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind

Die Frage nach einer erforderlichen Erheblichkeitsschwelle hat das Arbeitsgericht deshalb unbeantwortet gelassen, weil nach Wertung der Kammer im konkreten Fall diese jedenfalls überschritten sei. Die Daten des Klägers seien mindestens in drei Postleitzahlenbereichen der Landeshauptstadt München auf knapp 10.000 Flyern und damit in zahlreichen Haushalten verbreitet worden und sei der Kontrollverlust in zeitlicher Hinsicht schwer einschätzbar.

Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs nach Art. 82 DSGVO erfolgt durch das Arbeitsgericht München zum Teil nach bisher unbekannten Kriterien – Das Arbeitsgericht München wählt als Ausgangspunkt der Schadenermittlung eigenes Angebot des Schädigers in Höhe von 1.000,00 Euro

Bei der Bemessung der Schadenshöhe sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Beklagte dem Kläger eine selbständige Nebentätigkeit zum Vertrieb von augenoptischen Erzeugnissen ausdrücklich genehmigt hatte und es der Beklagten damit erkennbar gewesen sei, dass der Kläger auf Grund der Tätigkeit in derselben Branche ein besonderes Interesse an der Steuerung und Kontrolle seiner Daten auf dem Markt gegenüber Dritten hatte, was zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sei. Da die Beklagte per E-Mail ein Angebot zur Kompensation gegen Zahlung von 1.000,00 Euro angeboten habe „erschien nach Wertung der Kammer daher im Ausgangspunkt ein Betrag in Höhe von 1.000,00 Euro angemessen“.

Für die weitere Bemessung des immateriellen Schadensersatzanspruchs sei die gesetzliche Wertung des Art. 12 Abs. 3 DSGVO relevant

Weiter sei für die Bemessung der Höhe nach die gesetzliche Wertung in Art. 12 Abs. 3 DSGVO relevant. Die Auskunftsansprüche seien Hilfsansprüche und dienten der Durchsetzung und Bezifferung die Rechte auf Löschung, Berichtigung und Einschränkung der Bearbeitung und Datenübertragbarkeit sowie Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

Verstreichen lassen der ersten Auskunftsstufe: weitere 500,00 Euro – Weiterer Verzug von zwei Monaten: weitere 500,00 Euro

Für das Verstreichen lassen der ersten Auskunftsfrist von einem Monat hat das Arbeitsgericht München einen weiteren Betrag von 500,00 Euro in Ansatz gebracht. Für das Verstreichen lassen der weiteren zeitlichen Zäsur von zwei zusätzlichen Monaten wurde ebenfalls ein Betrag in Höhe von 500,00 Euro in Ansatz gebracht. Die DSGVO sehe kein weiteres Fristenregime in Art. 12 Abs. 3 DSGVO vor und ändere nach Wertung der Kammer der bereits manifestierte und transparent gewordene Eingriff in die Datensouveränität auch nicht durch einen weiteren Zeitablauf seinen Charakter. Solange sich nicht weitere unzulässige Datenverarbeitungsvorgänge anschließen oder wiederholen würden, beschränke sich die Wirkung der ursprünglichen, abgeschlossenen Verletzung auf den Verlust der Datenautonomie.

Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Verletzers für Bemessung der Höhe des Schadens nach Art. 82 DSGVO nach Auffassung des Arbeitsgerichts München irrelevant

Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beklagten sei für die Bemessung der Höhe des Schadens irrelevant, da es nicht um die vermögensrechtliche Komponente einer Datenverarbeitung, sondern um Entschädigung eines immateriellen Schadens in Form des Verlustes der Datenautonomie gegangen sei. Insoweit würde kein Bezug zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Datenverantwortlichen bestehen. Auch ließe sich nicht an den Bruttomonatslohn des Klägers anknüpfen. Die Bedeutung der Datensouveränität und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sei unabhängig von der einem Beschäftigten für seine Tätigkeit gezahlten Vergütung.

Schadensersatzanspruch auch unter dem Aspekt der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Recht auf informationelle Selbstbestimmung)

Ein Anspruch auf Zahlung eines (höheren) Ersatzes unter dem Aspekt einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) scheide aus. Der Anwendungsbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei zwar eröffnet und umfasse auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zudem sei auch in den geschützten Bereich der informationellen Selbstbestimmung eingegriffen worden. Der Eingriff ist nach Auffassung des Arbeitsgerichts München aber nicht derart schwer, dass unter diesem Aspekt eine höhere Geldentschädigung im Hinblick auf die Drittwirkung von Grundrechten Rechnung getragen werden müsste. Das Gericht führt in seiner weiteren Begründung aus, bei einem zu Werbezwecken kostenlos und pauschal verteilten Papier, das an sämtliche Haushalte ohne Rücksicht darauf verteilt wurde, ob bei einzelnen von ihnen ein besonderes individuelles Interesse an den Informationen des Flyers bestanden haben mag, dürfte davon auszugehen sein, dass entsprechende Flyer regelmäßig nur kurzzeitig zur Kenntnis genommen würden.

Welche Schadensersatzansprüche nach Art. 82 DSGVO haben andere Gerichte im Einzelfall zugesprochen?

Die Rechtssprechung zu Grund und Höhe von Schadensersatzansprüchen ist geprägt von Einzelfallentscheidungen. Exemplarisch seine nur einige Entscheidungen angeführt:

Bundesarbeitsgericht (BAG)

  • BAG, Urteil vom 05.05.2022 (2 AZR 363/21): 1.000,00 Euro wegen verspäteter Auskunft nicht zu gering

Landesarbeitsgerichte (LAG)

  • LAG Hamm, Urteil vom 14.12.2021 (17 Sa 1185/20): 2.000,00 Euro
  • LAG Berlin, Urteil vom 18.11.2021 (10 Sa 443/21): 1.000,00 Euro pro einzelner unvollständiger Auskunft
  • LAG Niedersachsen, Urteil vom 22.10.2021 (16 Sa 761/20): 1.250,00 Euro bei unvollständiger und verspäteter Auskunft
  • LAG Hessen, Urteil vom 18.10.2021 (16 Sa 380/20): 1.500,00 Euro
  • LAG Hamm, Urteil vom 11.05.2021 (6 Sa 1260/20): 1.000,00 Euro bei verspäteter / unvollständiger Datenauskunft
  • LAG Köln, Urteil vom 14.09.2020 (2 Sa 358/20): 300,00 Euro bei Veröffentlichung eines beruflichen Tätigkeitsprofils auf Website der Arbeitgeberin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Arbeitsgerichte

  • Arbeitsgericht München, Urteil vom 09.09.2022 (Az.: 23 Ca 11093/21): 2.000,00 Euro
  • Arbeitsgericht Neurupin, Urteil vom 14.12.2021 (2 Ca 554/21): 1.000,00 Euro
  • Arbeitsgericht Dresden, Urteil vom 26.08.2020 (13 Ca 1046/20): 1.500,00 Euro bei unbefugter Veröffentlichung von Gesundheitsdaten
  • Arbeitsgericht Neumünster, Urteil vom 11.08.2020 (1 Ca 247 c/20): 1.500 Euro bei bei verspäteter Auskunft; 500 Euro pro Monat der Verspätung
  • Arbeitsgericht Münster, Urteil vom 25.03.2021 (3 Ca 391/20): 5.000,00 Euro für unbefugte Veröffentlichung von Mitarbeiterfotos in Broschüre
  • Arbeitsgericht Lübeck, Beschluss vom 20.06.2020 (1 Ca 538/19): 1.000,00 Euro bei unbefugter Veröffentlichung eines Mitarbeiterfotos in sozialen Netzwerken möglich
  • Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 05.03.2020 (9 Ca 6557/18): 5.000,00 Euro bei unvollständiger und verspäteter Auskunft

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