BGH zu Gegenstandswert und Störerhaftung
Der für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshof (BGH) hat am 12 Mai 2016 mehrere Urteile zur Haftung wegen Teilnahme an Internet-Tauschbörsen gesprochen. Die Urteile haben die Aktenzeichen I ZR 272/14, I ZR 1/15, I ZR 43/15, I ZR 44/15, I ZR 48/15 und I ZR 86/15.
Gegenstandswert der anwaltlichen Abmahnung nicht stets das Doppelte des anzunehmenden Lizenzschadens
Die Klägerinnen halten die Verwertungsrechte an verschiedenen Filmwerken bzw. Computerspielen bzw. Musikwerken und nahmen die jeweiligen Beklagten wegen der öffentlichen Zugänglichmachung der jeweiligen Werke in Anspruch. Die Klägerinnen forderten die Beklagten als Anschlussinhaber auf, wegen Filesharing Schadensersatz sowie Ersatz von Abmahnkosten zu leisten. Die Beklagten wurden von dem Berufungsgericht teilweise zu Schadensersatz und Ersatz der Abmahnkosten verurteil.
Die Klägerinnen gingen in die Revision. Der Bundesgerichtshof hat die Urteile des Landgerichts nunmehr aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht hatte die Annahme vertreten, der Gegenstandswert der anwaltlichen Abmahnung belaufe sich stets auf das Doppelte des anzunehmenden Lizenzschadens. Der BGH ist der Auffassung, das Landgericht sei zu Unrecht von einer solchen Annahme ausgegangen; der Gegenstandswert einer Abmahnung sei in Fällen der vorliegenden Art jeweils nach dem Interesse der Klägerinnen an der Unterbindung künftiger Rechtsverletzungen unter Berücksichtigung sämtlicher relevanten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Eine, wie von dem Landgericht vorgenommene, schematische Bemessung des Gegenstandswerts würde dem Umstand nicht gerecht werden, dass nicht nur die Lizenzierung des Werkes, sondern auch dessen kommerzielle Auswertung im Gesamten beeinträchtigt würde. Das Landgericht habe bei der Bemessung des Gegenstandswertes nicht die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen. Solche seien z.B. der wirtschaftliche Wert des verletzten Rechts, die Aktualität und Popularität des Werks, die Intensität und die Dauer der Rechtsverletzung sowie die subjektiven Umstände auf Seiten des Verletzers.
Keine Störerhaftung bei fehlender Belehrung von Volljährigen
Zudem urteilte der BGH auch über die Frage, ob ein Anschlussinhaber für Rechtsverletzungen Volljähriger nach der Störerhaftung in Anspruch genommen werden kann, wenn die volljährige Person von dem Anschlussinhaber vorher nicht belehrt worden ist. Der BGH erteilte der Störerhaftung in diesem Fall eine deutliche Absage und urteilte, dass der Inhaber eines Anschlusses gegenüber volljährigen Besuchern, die den Anschluss nutzen, keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht habe.
Der BGH hat sich mit der Frage, jedoch etwas anders gelagert, bereits auseinandergesetzt. 2012 urteilte der BGH, dass Eltern nicht für minderjährige Kinder haften würden, wenn diese zumindest einmalig belehrt worden seien. In Bezug auf erwachsene Familienmitglieder entschied der BGH auch, dass diese nicht ohne weiteres über die Illegalität des Filesharings belehrt werden müssten. Etwas anderes gelte nur dann, wenn es bereits Anhaltspunkte für eine illegale Nutzung des Anschlusses gegeben habe.
Mit den Urteilen des BGH ist wieder einmal viel Bewegung in das Thema Filesharing gekommen. Erst gestern, am 11.05.2016, hat sich die Politik mit der grundsätzlichen Störerhaftung und deren Abschaffung beschäftigt. Bei allem darf jedoch auch das Problem der sogenannten sekundären Darlegungslast nicht vergessen werden. Die Abschaffung der Störerhaftung führt nicht dazu, dass es künftig keine Ahndung von Urheberrechtsverstößen mehr geben wird. Es wird aber die für Rechteinhaber leichtere Ahndung aufgegeben, wenn die Gesetzesänderung, wie gestern angekündigt, tatsächlich umgesetzt wird. Dabei wird auch mit Spannung zu erwarten sein, ob die Eingrenzung bzw. Aufgabe der Störerhaftung letztlich nur für Internetcafés, Hotels etc. kommen wird oder auch für rein private Anschlussinhaber. Daher bleibt das Jahr 2016 in Fragen des Filesharings voraussichtlich spannend.
Vorinstanzen zu den aktuellen Urteilen des BGH:
I ZR 272/14
AG Bochum – Urteil vom 16. April 2014 – 67 C 4/14
LG Bochum – Urteil vom 27. November 2014 – I-8 S 9/14
I ZR 1/15
AG Bochum – Urteil vom 26. März 2014 – 67 C 3/14
LG Bochum – Urteil vom 27. November 2014 – I-8 S 7/14
I ZR 43/15
AG Bochum – Urteil vom 8. Juli 2014 – 65 C 81/14
LG Bochum – Urteil vom 5. Februar 2015 – I-8 S 17/14
I ZR 44/15
AG Bochum – Urteil vom 3. Juni 2014 – 65 C 558/13
LG Bochum – Urteil vom 5. Februar 2015 – I-8 S 11/14
I ZR 48/15
LG Köln – Urteil vom 20. November 2013 – 28 O 467/12
OLG Köln – Urteil vom 6. Februar 2015 – 6 U 209/13, juris
I ZR 86/15
AG Hamburg – Urteil vom 8. Juli 2014 – 25b C 887/13
LG Hamburg – Urteil vom 20. März 2015 – 310 S 23/14