Kinder als Influencer – Nevermind? Was ist rechtlich zu beachten?
Nirvana und Spencer Elden als Denkanstoß!
1991 veröffentlichte die US-amerikanische Rockband Nirvana ihr Album Nevermind. Auf dem Albumcover war ein nacktes Baby abgebildet, das mit ausgebreiteten Armen im Wasser schwamm und offenbar von einem Dollarschein an einer Angel geködert wird.
Ist das noch Grunge und/oder ein Sinnbild aktueller Entwicklungen?
Ob die Abbildung als Sinnbild jüngerer Entwicklungen gesehen werden kann, muss wohl jedem Betrachter selbst überlassen werden. Den Juristen aber wurde nunmehr das Anliegen von Spencer Elden zur Beurteilung überlassen. Spencer Elden ist das einstige Baby auf dem Nevermind-Cover und mittlerweile 30 Jahre alt.
Ehemaliges Baby wird erwachsen und verklagt an der Covererstellung beteiligte Parteien
Spencer Elden verklagt offenbar die an der Covererstellung beteiligten Personen. Ein Teil seiner Vorwürfe betreffen den Umstand, dass seine Eltern nie ihre Einwilligung zur kommerziellen und massenhaften Verwertung der Fotografie gegeben hätten, die der Fotograf Kirk Weddle erstellt hat. Nach entsprechenden Medienberichten fordert Spencer Elden mehr als je 150.000 US-Dollar Schadensersatz von 17 Parteien. Hierzu gehören neben Kirk Weddle offenbar auch die ehemaligen Bandmitglieder von Nirvana (Dave Grohl und Krist Novoselic) und Courtney Love, die Ehefrau des verstorbenen Leadsängers Kurz Cobain.
Zeit einen Blick auf aktuelle Fragen zum Thema Kinder-Influencer zu werfen
Spätestens der Fall um Nirvana, Nevermind und Spencer Elden sollte den Fokus von Eltern in Zeiten von Facebook, Instagram, TikTok und YouTube sensibilisieren und anregen, sich mit nicht einfachen Fragen der Gegenwart auseinanderzusetzen.
Auch wenn Eltern im Allgemeinen die Persönlichkeitsrechte ihrer Kinder kritisch und bewusst wahrnehmen sollten, so soll sich dieser Beitrag speziell mit Kindern als kommerzielle Influencer auseinandersetzen. Vorliegend werden persönlichkeitsrechtliche Fragen behandelt. Ethische Probleme können und werden hier daher nur aufgegriffen, soweit sie für die rechtliche Bewertung relevant sind. Ziel dieses (verkürzten) Beitrags soll der zielführende Diskurs und eine Hilfestellung für Eltern sein, wie sie die Karriere ihrer Kinder unter strikter Wahrung des Kindeswohls fördern bzw. sich klar gegen eine solche aussprechen können. Damit fest verbunden ist auch die Frage, wie Eltern es vermeiden können, später zur Zielscheibe von Vorwürfen der eigenen Kinder zu werden.
Was sind Influencer?
Was unter den Begriff des Influencers fällt ist nicht klar definiert. Dem Begriff nach (engl. to influence = beeinflussen, einwirken, prägen) dürfte ein Influencer als eine Person verstanden werden, die mit Online-Inhalten (Video, Bild, Text, Audio) in regelmäßiger Frequenz Inhalte in sozialen Netzwerken veröffentlicht und hierdurch zur Meinungsbildung über verschiedene Themen (z.B. Politik, Produkte, Lifestyle) bei den Betrachtern anregt. Dabei hat ein Influencer in der Regel eine erhebliche Reichweite, d.h. eine Vielzahl von Followern und ist hierdurch regelmäßig auch für Unternehmen als Werbeträger relevant.
Kinder-Influencer werden somit als solche verstanden, die mangels (beschränkter) Geschäftsfähigkeit (noch) nicht (vollständig) über die ihnen zustehenden Rechte verfügen können.
Haben Kinder Persönlichkeitsrechte?
Die Frage, ob Kinder Inhaber von Persönlichkeitsrechten sind ist leicht zu beantworten. Nämlich mit einem eindeutigen JA!
Jeder Mensch ist Inhaber von Persönlichkeitsrechten. Unabhängig von seinem Alter. Dies ist Ausfluss des grundgesetzlich verankerten Persönlichkeitsrechtsschutzes. Das Persönlichkeitsrecht wird als ein Grundrecht verstanden, welches eine Person vor Eingriffen in ihren Lebens- und Freiheitsbereich schützen soll. Da das Persönlichkeitsrecht als solches nur punktuell gesetzlich geregelt ist, wurde durch richterliche Rechtsfortbildung das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) mit einem erheblich umfassenderen Persönlichkeitsrechtsschutz hergeleitet und durch die Rechtsprechung weiter ausgeformt. Neben dem APR gibt es vereinzelt spezialgesetzlich geregelte Persönlichkeitsrechte. Vorliegend sind insb. das Recht am eigenen Bild, welches eine spezialgesetzliche Regelung in § 22 Kunsturhebergesetz (KUG) gefunden hat und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung relevant.
Auch wenn das Persönlichkeitsrecht mit dem Tod des Trägers untergeht, so wird auch der Verstorbene gleichwohl weiterhin geschützt. Dies geschieht über die Wahrnehmungsbefugnis der Angehörigen in Form des postmortalen Persönlichkeitsrechts.
Wer nimmt die Persönlichkeitsrechte von Kindern wahr?
Hingegen weniger leicht ist die Frage zu beantworten, wer diese Rechte für das Kind wahrnehmen darf und in welcher Weise dies geschehen kann und sollte.
Kinder, die das siebente Lebensjahr nicht vollendet haben, sind nach § 104 BGB geschäftsunfähig und können daher keine wirksame Einwilligung erteilen. In diesem Fall sind es die gesetzlichen Vertreter, d.h. regelmäßig die Eltern (§§ 1626, 1629 BGB) bzw. Inhaber des Sorgerechts/der Vormund (§ 1793 BGB), die grundsätzlich darüber entscheiden, ob Abbildungen der Kinder veröffentlicht werden dürfen oder eben nicht.
Ist ein Minderjähriger, der das siebente Lebensjahr vollendet hat, beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB), so kommen ihm regelmäßig zumindest gewisse Mitspracherechte zu. Gleichwohl bedarf es weiter der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter.
Spätestens, wenn der beschränkt Geschäftsfähige die entsprechende Einsichtsfähigkeit erreicht hat, kommt es zu einem erheblichen Mitsprachrecht des Minderjährigen. Denn dann ist neben der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter zusätzlich und zwingend auch die Einwilligung des Minderjährigen selbst erforderlich. In Anlehnung an § 1617c Abs. 1 S. 2 BGB ist die erforderliche Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen regelmäßig mit der Vollendung des 14. Lebensjahres anzunehmen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit zunehmendem Alter und mit zunehmender Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen auch seine Selbstbestimmung wächst. D.h., das Einwilligungserfordernis der gesetzlichen Vertreter schrumpft mit zunehmendem Alter und zunehmender Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen. Die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter darf immer weniger gegen den Willen des Minderjährigen ausgeübt werden, bis es letztlich vollständig hinter der Selbstbestimmung zurückzutreten hat.
In diesem Zusammenhang ist auch zu betonen, dass Erzieher einer Kita oder Lehrer gerade kein Recht haben, ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertreter Bilder oder Videos von Kindern oder Minderjährigen zu veröffentlichen. Insoweit ist nicht nur bei Eltern sondern allgemein auch bei diesen Personenkreisen ein entsprechendes Bewusstsein für die Problematiken erforderlich. Der in der Praxis häufig anzutreffende Brauch, dass sich eine Schule zu Beginn eines Jahrgangs eine allgemeine Einwilligung erteilen lässt, ist nicht nur persönlichkeitsrechtlich sondern auch datenschutzrechtlich mit Risiken verbunden und zwecks Rechtssicherheit kritisch zu betrachten.
In der Praxis besonders wichtig ist die Tatsache, dass die gesetzlichen Vertreter insgesamt ihre Zustimmung erteilen müssen. Eltern vertreten ihre Kinder grundsätzlich gemeinsam. D.h. wenn lediglich ein sorgeberechtigter Elternteil ohne Zustimmung des anderen in die Veröffentlichung einwilligt, liegt in der Regel ein Rechtsverstoß vor. Dies gilt es insbesondere dann zu beachten, wenn die Eltern uneinig sind oder sich in familienrechtlichen Auseinandersetzungen befinden. Anderes kann gelten, wenn einem Elternteil das alleinige Sorgerecht übertragen worden ist.
Lauter werden derweil die Forderungen nach einer Anpassung vorbenannter Grundregeln. Eine solche Modifizierung wäre dahingehend denkbar, dass eine Einwilligung weder grundlos verweigert noch grundlos beanstandet werden darf. Die Verweigerung der Einwilligung sollte im selben Maße wie die Einwilligung selbst, ausschließlich mit Blick auf das jederzeit einzuhaltende Kindeswohl begründet werden können.
Bei fortbestehenden Uneinigkeiten besteht ggfs. auch die Möglichkeit, die Entscheidung einem Elternteil gerichtlich zu übertragen (§ 1628 BGB). Dabei kann die Übertragung auch mit Beschränkungen oder Auflagen verbunden werden um das Kindeswohl weiterhin umfassend zu wahren und um bestehenden Risiken vorzubeugen.
Hier gilt es, wie in jedem Fall, eine gemeinsame Lösung im tatsächlichen Interesse des Kindeswohls zu finden und eigene Interessen zurückstellen zu können.
Exkurs: OLG Frankfurt am Main bei Uneinigkeit über Durchführung einer Corona-Schutzimpfung des impfbereiten fast 16-jährigen Kindes
Interessant ist auch die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 17.08.2021, Az.: 6 UF 12/21). In dem zu entscheidenden Fall wollte das einwilligungsfähige 16-jährige Kind und ein Elternteil, dass eine Impfung gegen Covid19 vorgenommen wird. Ein Elternteil sprach sich gegen die Impfung aus. Das Gericht hat auch hier auf das grundsätzliche Erfordernisses eines Co-Consens zwischen dem einwilligungsfähigen Kind und den sorgeberechtigten Eltern abgestellt. Hieran fehlte es, weil nicht beide Elternteile einwilligten. Das OLG hat entschieden, dass bei Vorliegen des Kindeswillens und bei einer vorhandenen Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) die Entscheidung über die Durchführung der Impfung auf denjenigen Elternteil übertragen werden kann, der die Impfung befürwortet. Das Gericht hat auch hier auf die Vorschrift des § 1628 BGB abgestellt.
Und nun?
Am Anfang sollte das Bewusstsein über die Persönlichkeitsrechte des eigenen Kindes stehen. Dabei sind die Einzelfragen um die Einwilligung oder auch die Verweigerung der Einwilligung zu jedem Zeitpunkt am Kindeswohlinteresse auszurichten. Gesetzliche Vertreter, d.h. in der Regel die Eltern, sollten sich daher gemeinsam zu jedem Zeitpunkt fragen, ob sie dem Kindeswohl genügend Rechnung tragen und dabei jederzeit auch einen prognostischen Blick in die Zukunft werfen. Hierher gehört auch die Frage, ob es überhaupt noch möglich sein wird etwaige Beeinträchtigungen später zu beseitigen.
Die pauschale Ablehnung von Minderjährigen als Influencer erscheint ebenso undifferenziert wie die ausufernde Instrumentalisierung von Kindern für wirtschaftliche (Eigen-)Interessen. Es ist ein besonderes Fingerspitzengefühl der gesetzlichen Vertreter gefragt. Mit zunehmendem Alter und zunehmender Einsichtsfähigkeit ist der heranwachsende Sprössling immer stärker in die Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen, bis ihm letztlich die alleinige Entscheidungsgewallt zukommt. Bis dahin liegt die (volle) Verantwortung regelmäßig bei den Eltern. Dies ist im Kern nichts Neues, bedarf jedoch offenbar einer Vergegenwärtigung. Die bisherigen Grundsätze sind auch im Zeitalter der Sozialen Medien weiterhin anzuwenden. Dem Aspekt des Jungendschutzes ist dabei besonders Rechnung zu tragen. Wirtschaftliche Interessen müssen im Zweifel zurücktreten.
Es muss jedoch auch davor gewarnt werden, dass Kinder und Minderjährige als Influencer undifferenziert ablehnend wahrgenommen werden. Kinder und Minderjährige stehen und standen auch ohne Soziale Medien in der Öffentlichkeit. Ob Sportler oder Musiker. Karrieren begannen auch früher öffentlichkeitswirksam während der Kindheit. Auch deshalb sind Kinder als Influencer im Kern kein neues Problem, sondern dürften vor allem in quantitativer Hinsicht für eine Zunahme der Probleme gesorgt haben. Ethische und pädagogische Aspekte sind ebenso wie rechtliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.
Eltern stehen hier in einem besonderen Spannungsverhältnis. Sie laufen einerseits Gefahr, dass ihnen das eigene Kind später den Vorwurf machen könnte, es sei mit der (mutmaßlichen) Einwilligung nicht einverstanden gewesen. Andererseits laufen die Eltern ebenso Gefahr, sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, die Karriere des Kindes nicht gefördert oder gar behindert zu haben. Ob sie tatsächlich im Interesse des Kindes gehandelt haben, erfahren sie wohl erst später – Im Fall von Spencer Elden nach 30 Jahren. Daher ist mit diesen Fragestellungen niemals sorglos umzugehen und es sollte neben der Erfüllung rechtlicher Voraussetzung vor allem die ehrliche Prognose einer mutmaßlichen Einwilligung und damit das Kindeswohl an vorderster Stelle stehen. Schenkt man Spencer Elden Glauben, so hätte er den vor ihm schwimmenden Köder in Form eines Dollarscheins wohl nicht geschluckt.