Anspruch auf das Arbeitszeugnis nicht erfüllt bei tabellarischer Darstellungsform – BAG 9 AZR 262/20
Immer wieder besteht Streit darüber, ob der Arbeitgeber das Arbeitszeugnis ordentlich erteilt hat oder nicht. Nunmehr hat das BAG entschieden, das der Anspruch auf das Arbeitszeugnis nicht erfüllt ist, wenn das Arbeitszeugnis in tabellarischer Darstellungsform erfolgt.
Anspruch auf Erteilung von Endzeugnis oder Zwischenzeugnis
Nach einer Kündigung hat der Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf ein „einfaches Zeugnis“, welches Angaben zur Art und Dauer der Tätigkeit erhält. Sofern erwünscht, kann er von dem Arbeitgeber auch ein „qualifiziertes Zeugnis“ verlangen, welches darüber hinaus Angaben zu Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis macht. Dies ist in § 109 Abs. 1 der Gewerbeordnung (GewO) gesetzlich geregelt.
Zwar muss die Formulierung nach § 109 Abs. 2 GewO klar und verständlich gehalten sein. Mehr bestimmt aber auch das Gesetz nicht. Es fehlt also an klaren Angaben zur äußeren Form und zum genauen Inhalt des Zeugnisses.
Tabellarische Darstellungsform nach BAG nicht ausreichend
In einem Fall hat der Arbeitgeber die Leistung und das Verhalten des Arbeitnehmers in tabellarischer Form dargestellt. Der betroffene Arbeitnehmer hat nach Erhalt seines Zeugnisses daher geklagt und vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 27.04.2021 (9 AZR 262/20) Recht bekommen. Der Arbeitgeber kommt dem Anspruch des Arbeitnehmers auf ein „qualifiziertes Zeugnis“ nach § 109 Abs. 1 S. 3 GewO nicht dadurch nach, dass er ein lediglich tabellarisch angelegtes Zeugnis ausstellt.
Klarer Leitsatz des BAG
Das BAG hat den folgenden und unmissverständlichen Leitsatz formuliert:
Der Arbeitgeber erfüllt den Zeugnisanspruch eines Arbeitnehmers nach
§ 109 GewO regelmäßig nicht dadurch, dass er Leistung und Verhalten
des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis in einer an ein Schulzeugnis ange-
lehnten tabellarischen Darstellungsform beurteilt. Die zur Erreichung des
Zeugniszwecks erforderlichen individuellen Hervorhebungen und Differen-
zierungen in der Beurteilung lassen sich regelmäßig nur durch ein im Fließ-
text formuliertes Arbeitszeugnis angemessen herausstellen.
Das BAG führt in seiner Entscheidung hierzu weiter aus:
Der Arbeitgeber hat bei Verfassen des Zeugnisses und bei der Wahl der Formulierung zwar einen Ermessensspielraum. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass das Zeugnis regelmäßig als Bewerbungsunterlage des Arbeitnehmers dient und ihm zugleich Aufschluss über seine eigene Leistung geben soll, sind jedoch gewisse Mindestanforderungen zu wahren.
Berücksichtigung individueller Beurteilungen und Hervorhebungen erforderlich
Durch die (einem Schulzeugnis ähnliche) Tabellenform würden nach Ansicht des BAG individuelle Beurteilungen und Hervorhebungen nicht genug berücksichtigt. Lediglich stichwortartige Bewertungen („sehr gut, „gut“, „befriedigend“ etc.) können dem Zeugnis zudem einen negativen Gesamteindruck verleihen. Während die Stichwortbeurteilungen in der Schule auf schriftlichen Leistungserhebungen beruhen, sind im Berufsleben üblicherweise keine hinreichenden Bezugspunkte für eine rein objektive Beurteilung der Leistung gegeben.
Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis müsse demnach vielmehr individuell auf den Arbeitnehmer zugeschnitten sein und dessen persönliche Leistungen dokumentieren. Bewertungskriterien sind hierbei beispielsweise Fähigkeiten, Kenntnisse, Sorgfalt und Arbeitsmotivation. Welche Kriterien hierbei in welchem Umfang berücksichtigt werden, liegt im Ermessen des Arbeitgebers, nach der Erwartung des Zeugnislesers sind jedoch Gewichtungen zu treffen, um dem Zeugnis Aussagekraft zu verleihen. Auch diesen Anforderungen komme eine tabellarische Bewertung mit Stichworten nach Ansicht der Richter nicht hinreichend nach.
Zweck des Zeugnisses: Vermittlung eines klaren Bildes bisheriger Tätigkeiten und Leistungen
Der Zweck eines qualifizierten Zeugnisses nach § 109 Abs. 1 S. 3 GewO ist es, dem zukünftigen Arbeitgeber ein klares Bild von den bisherigen Tätigkeiten und Leistungen des Arbeitnehmers zu verschaffen. Diesen Anforderungen wird nach Ansicht des BAG regelmäßig nur durch ein individuell verfasstes Zeugnis in Fließtextform genügt.
Fazit
Als Arbeitnehmer kann man also bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses grundsätzlich ein individuell verfasstes Zeugnis in Form eines Fließtextes vom Arbeitgeber verlangen.